Vorwort zu Ars Cantus mensurabilis

Ars cantus mensurabilis

Vorwort

Die Handschrift „Ars cantus mensurabilis“ von Franco von Köln (+1247) wurde von Fürstabt Martin Gerbert (1720-1793) in der Bibliothek „Ambrosiana“ in Mailand entdeckt.
(
Foto eines Porträts von Fürstabt Martin Gerbert)

Dieses Manuskript ist ein Lehrbuch für mensurable Musik verschiedener Tondauern und nicht äqual mit gleichen Tondauern, wie es heute noch beim Gregorianischen Choral gesungen wird (Mensuralnotation, für Musik bis ca. 1600, die Modalnotation ablösende Notenschrift, in der die Dauer der Töne (gemäß ihrer Mensur) genau festgelegt ist).

Der erste und zweite Band dieser Gesänge der Liturgie (in den alten Formen) sind:

   - Hymnen
   - Antiphonen, Sequenzen, Psalmen und andere Gebete mit mensuraler Gregorianik.

„Die sämtlichen Aussagen der Quellen bis zum 12. Jahrhundert stimmen darüber überein, daß in den Neumen als solchen und ohne besondere Zutaten rhythmische Werte, Longae und breves und deren Verbindungen zum Ausdruck kommen, und demgemäß ist die gregorianische Rhythmik als eine metrische zu bezeichnen, eine solche freilich, in der die verschiedenen Verbindungen von Longa und brevis frei aufeinender folgen können, an die Regelmäßigkeit unseres Taktes ist da nicht zu denken.“
Peter Wagner: „Der gregorianische Gesang“, Adlers Handbuch der Musikgeschichte, Berlin 1930.

Und:

„Diese Lösung blieb aber nur eine Übergangserscheinug; denn sie gab keine eindeutigen Verhaltungsmaßregeln für die Folge der simplices und auch keine bindenden Vorschriften für die Werte der einzelnen Noten im Verbande der Ligatur. Ein noch größerer Mangel war, daß es keine die ganze Materie berücksichtigende Zusammenfassung gab, die durch ein logisch aufgebautes System der Zersplitterung in der Notenschreibung Einhalt geboten hätte. Die befreiende Tat vollbrachte Franco von Köln, der in seiner „Ars cantus mensurabilis“ die Mensuralnotation schuf, die nicht nur den Anforderungen der Zeit genügte, sondern die auch einem weiteren Ausbau der Mensuralnotation dienen    konnte.“
Friedrich Gennrich: „Abriss der frankonischen Mensuralnotation“, Darmstadt 1956.

Mit der Liturgie in der Landessprache hat sich im 20. Jahrhundert grenzenlose Verballhornung an alten Texten und Melodien verbreitet. Die Täter sind im einzelnen Falle fast immer unter der Ägide von Kirchenleitungen anonym geblieben.
Jeder aber, der sich an Sprache und Melodik vergreift, vergreift sich am Wesen des Gotteswortes im Wort des Dichters und in der Musik des Musikers. Das Echte wird zu Talmi, sobald sich ´Ersatz´ einschleicht. Die Verballhornung der Individualsprache zugunsten einer Kollektiv- und Popularsprache ist ein handfester Betrug auch dann, wenn er angeblich einem sogenannten „guten Zweck“ dienen soll.

„Nur Schade, daß taubgeborne Philosophen allein auf dieses Wort Anspruch machen können! - - Mit einem sochen Krebsgange des Verstandes Lässet sich ohne Flug der Erfindungskraft eben so leicht das Unermeßliche als meßbar, und umgekehrt denken - - eben so leicht durch unmittelbare Bezeichnung der Sache die ganze deutsche Literatur nicht nur übersehen, sondern auch verbessern von einem Imperator zu Pekin,  als von einem taubgebornen Johan Ballhorn!”
Johann Georg Hamann (1730-1788): “Golgotha und Scheblimini” (1788)

„Eure Festreigen hasse ich, verschmähe ich,
eure Einschließungen mag ich nicht riechen,
ja, wenn ihr mir Hochgaben darhöht
und eure Hinleitspenden,
schätze ichs nicht zugnaden,
euer Mastochsen Friedmahl
blicke ich nicht an.
Tu mir das Geplärr deiner Lieder hinweg,
dein Lautenspiel will ich nicht hören.
Rauschte nur wie die Wasser Gerechtigkeit auf,
Wahrhaftigkeit wie urständige Bachflut!“
Amos, 5, 21-24
Übersetzung: Buber-Rosenzweig

„Jesus ging nun in Gottes Tempel,
und trieb alle Käufer und Verkäufer zum Tempel hinaus;
die Tische der Wechsler und die Stühle der Taubenhändler
stieß er um;
und sprach zu ihnen:
Mein Haus soll ein Bethaus heißen;
Ihr aber habt es zu einer Räuberhöhle gemacht.“
Matthäus 21, 12-13
Übersetzung: D. Leander van Eß (1828)

     Der Zeit ihre Kunst

Wohl angepaßt ist ihrer Zeit
ihr ganzes Kunstgestalten;
sie sind schon von Natur bereit
und können ihr nichts vorenthalten.

Ihr Zeitgefühl ist nicht gering,
sie wissen, wann sie leben;
was jeder von der Zeit empfing,
will er getreu zurück ihr geben.

Der ganze Dreck erscheint auch mir
in dieser Zeit enthalten;
drum lasse ich mich nicht von ihr,
doch sie läßt sich von mir gestalten.

Karl Kraus

 

 

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